Mono no aware — die Schönheit der Vergänglichkeit
»Mono no aware« ist ein japanischer Ausdruck für die andächtige Wertschätzung für die flüchtige Schönheit und der Vergänglichkeit des Lebens — erlebt in einfühlsamer Achtsamkeit.
Als ästhetisches Konzept verbindet Mono no aware die Bewusstseinsebene mit der Gefühlsebene. Es umfasst sowohl die Gedanken, als auch die emotionale Resonanz, welche die Vergänglichkeit in uns hervorruft und betont eine zarte, wehmütige Achtsamkeit gegenüber der Welt, die sowohl Traurigkeit als auch eine tiefe Wertschätzung und Freude für den Augenblick beinhaltet.
Übersetzung des Begriffs
Mono no aware lässt sich wörtlich nur schwer ins Deutsche übersetzen, da der Begriff ein Ausdruck eines komplexeren kulturellen Konzepts ist. Um sich einem Verständnis zu nähern, ist es jedoch sinnvoll, zunächst die einzelnen Bestandteile des Ausdrucks zu übersetzen:
- Mono (物) bedeutet »Dinge« und umfasst im weiteren Sinne auch Ereignisse, Zustände oder Phänomene.
- No (の) ist ein Genitivpartikel, den man im Deutschen mit »von« oder »des« übersetzen könnte.
- Aware (哀れ) ist ein Ausruf des ergriffenen Staunens, vielleicht vergleichbar mit dem Deutschen »oh!« oder »ach!« bei der Betrachtung etwas Unerwartetem oder Wunderschönem, mit gleichzeitigem Innehalten vor der Zerbrechlichkeit es Augenblicks auf der Bewusstseinsebene und der Gefühlsebene.
Auch wenn der japanische Ausdruck »aware« nichts mit dem englischen Begriff »awareness« zu tun hat, ist dieser eine gute Merk- und Verständnishilfe. Denn »Awareness« umfasst genauso das bewusste Erleben auf gedanklicher Ebene als auch die emotionale Sensibilität gegenüber einem Moment.
Mono no aware Momente
Hanami — Die Kirschblüte betrachten
Mono no aware ist in der japanischen Kultur tief verwurzelt und findet vielfältigen Ausdruck in Kunst und Literatur. Besonders eng ist es mit der japanischen Kirschblüte — der Sakura — verbunden, die als Symbol für vergängliche Schönheit in Japan allgegenwärtig ist.
In diesem Zusammenhang steht auch die Tradition des Hanami (japanisch 花見, »Blüten betrachten«). Dabei versammeln sich Freunde oder Familien zur Blütezeit in Parks und Gärten. Sie bringen Decken, Essen und Getränke mit und verbringen den Tag oder den Abend im Freien unter den blühenden Bäumen.
Momiji-gari — Jagd auf das Herbstlaub
Neben dem »Blüten betrachten« (Hanami) ist Momiji-gari (jap. 紅葉狩り) eine wichtige japanische Tradition, bei dem die Menschen die farbenprächtigen Herbstblätter, insbesondere der Ahornbäume (Momiji), bewundern. Der Begriff setzt sich zusammen aus »Momiji« (Ahornblätter oder allgemein Herbstlaub) und »Gari« (Jagd), was im übertragenen Sinne »Jagd auf das Herbstlaub« bedeutet.
Während des Momiji-gari zieht es viele Menschen in die Berge, Parks und Tempelanlagen, um die roten, orangen und gelben Farben des Laubs zu genießen. Es ist eine Zeit der Reflexion über die Vergänglichkeit und den Wandel, was ebenso das Konzept von Mono no aware aufgreift.
Jugend, Alter und Abschiede
Oft wird in japanischen Gedichten und Geschichten die Vergänglichkeit der Jugend thematisiert. Der Übergang vom Frühling des Lebens (Jugend) zum Herbst (Alter) wird mit einem Hauch von Wehmut betrachtet.
Genauso kann die Betrachtung alter, verfallener Tempel oder Ruinen, die von Moos und Pflanzen überwuchert sind, ein Gefühl von Mono no Aware auslösen—eng verbunden mit dem Konzept des Wabi-sabi. Die Schönheit liegt hier in der Patina des Alters und dem unaufhaltsamen Vergehen der Zeit.
Ebenso sind in der japanischen Literatur und im Alltag Abschiede oft stark mit Mono no Aware verbunden. Die Traurigkeit, die entsteht, wenn man sich von einer geliebten Person oder einem besonderen Ort verabschiedet, mit der gleichzeitigen Dankbarkeit für die gemeinsame Zeit, ist ein klassisches Beispiel für dieses Gefühl.
Die Wertschätzung des Augenblicks im Chadō
Beim Chadō — dem »Weg des Tees« — wie auch in der Zen-Meditation steht die Achtsamkeit und die tiefgehende Wertschätzung des gegenwärtigen Augenblicks in Zentrum. Bewusst und achtsam durchgeführte Rituale fördern eine intensivere Wahrnehmung der Bedeutung und Flüchtigkeit eines jeden Moments:
- Jede Teezeremonie ist einzigartig und erinnert uns daran, den Moment voll und ganz zu schätzen. Damit wird der bewusste Genuss einer Tasse Tee (auch alleine, aber besonders in Gesellschaft) zu einer meditativen Übung, unser Leben bewusster zu leben und Veränderungen anzunehmen.
- Dabei symbolisiert Verwendung saisonaler Utensilien und die sorgfältige Vorbereitung die vergängliche Natur der Zeit und der Jahreszeiten.
Die ruhige und meditative Qualität einer Teezeremonie ermöglicht es, emotionale Einsichten zu gewinnen und die Verbindung zum gegenwärtigen Moment herzustellen. Dies ist auch ein Kernaspekt von Mono no aware, mit einer tiefen Wertschätzung für das Hier und Jetzt.
In der Praxis des Matcha-Trinkens wird dieses Bewusstsein besonders betont. Jede Tasse Matcha ist eine Hommage an diese Philosophie:
- Die Vorbereitung des Matcha ist ein Ritual, das Achtsamkeit und Präsenz erfordert.
- Der Genuss jeder einzelnen Tasse bietet eine Gelegenheit, den flüchtigen Moment zu ehren.